Hohenstücken auf Krücken

Weitere Fachärzte verlassen den Stadtteil / Zahlreiche Senioren sind verunsichert

Hohenstücken hat keinen Chirurgen mehr. Auch der Hautarzt ist weggezogen in das neue Gesundheitszentrum. Viele ältere Menschen sind besorgt. Der Chef des Pflegezentrums nennt den Facharztschwund einen „herben Verlust“.

„Meine Hüfte ist kaputt, mir geht’s bescheiden, und jetzt muss ich noch so weit fahren. Das ist doch eine Schweinerei“, regt sich Herbert Güttler auf und stützt sich müde auf seine Krücken. Der 55-jährige Klempner ist auf dem Weg zur Chirurgin, als er erfährt, dass die Ärztin nicht mehr da ist.

Denn die Chirurgin Silvia Rudolph verließ in den vergangenen Tagen das Ärztehaus in der Walther-Ausländer-Straße 4 und zog in das neu errichtete Gesundheitszentrum am Hauptbahnhof. Damit verliert Hohenstücken eine für die Patienten des Stadtteils wichtige Ärztin.

Insbesondere für die älteren Menschen kann dieser Verlust unangenehme Folgen haben. „Für uns sehen wir schwierige Zeiten kommen“, sagt Ute Schneider (48), Sozialarbeiterin des Seniorenheims „Martha Piter“ am Tschirchdamm. Schneider und ihre Kollegen betreuen zurzeit rund 150 Senioren. Mit dem Wegfall der Fachärzte um die Ecke breche die schnelle Versorgung ein und „dann wird es akut“, fürchtet die Sozialarbeiterin.

„Das ist traurig“, wiederholt gleich mehrmals eine Bewohnerin des Seniorenheims „Martha Piter“. Auch im Ärztehaus hört man immer wieder Rufe wie „Was soll das?“ und „Das darf doch nicht wahr sein!“ Viele Menschen sind mit dem Mangel an Fachärzten in Hohenstücken unzufrieden, ratlos, verunsichert, beobachtete die Krankenschwester der Allgemeinmedizin, Petra Schuck.

Der Geschäftsführer des Senioren- und Pflegezentrums Norbert Fröhndrich (52) sieht den Facharztschwund in Hohenstücken ebenfalls kritisch: „Das ist schon ein herber Verlust für die Leute vor Ort.“ Zumal nicht nur das Seniorenheim „Martha Piter“ betroffen ist. Neben dem Ärztehaus stehen zwei weitere Wohnblöcke, in denen etwa 200 Menschen im höheren Alter wohnen, die auf ihre Ärzte in der Nähe angewiesen sind, erzählt Fröhndrich.

So auch ein älterer Brandenburger, der im Winter von einer Leiter gestürzt ist, sich das Becken zertrümmert hat und seitdem regelmäßig die Chirurgin im Ärztehaus besuchte. Den Umzug seiner Ärztin findet er „nicht in Ordnung“. Er klagt darüber, dass sie zum Hauptbahnhof zog: „Für Taxi muss ich Geld bezahlen und zur Straßenbahn muss ich ein ordentliches Stück laufen“, erklärt der Mann, der in der Kopenhagener Straße wohnt.

Die Chirurgin Rudolph weist die Schuld an den entstandenen Schwierigkeiten von sich: „Diese Entscheidung, aus Hohenstücken wegzuziehen, habe nicht ich gefällt.“ Der Wechsel des Standortes sei auf einer „höheren Ebene“ entschieden worden. Sie sei beim Medizinischen Versorgungszentrum angestellt und müsse sich fügen, sagt Rudolph und verweist auf das Städtische Klinikum.

Wie der Warteraum der Chirurgin im Ärztehaus, so blieb auch der Flur zum Hautarzt Bernd Bickel in der Poliklinik diese Woche leer und dunkel. Bickel ist gleichfalls aus Hohenstücken in das neue Gesundheitszentrum am Hauptbahnhof gezogen.

Die Gynäkologin Eva-Maria Vorpahl – noch im Ärztehaus – wird ihren Kollegen in den nächsten Wochen folgen. Bereits im vergangenen Jahr kehrten dem Stadtteil Hohenstücken die Allgemeinmediziner Peter Vöckler und Sabine Glatz den Rücken. Sie haben ihre Praxen im Veilchenweg.

Pflegezentrum-Chef Norbert Fröhndrich bedauert die „schlimme Situation“ des Facharztmangels in Hohenstücken und prognostiziert: „Solange es keine Vision für Hohenstücken gibt, wird sich das nicht ändern.“

Dmitri Steiz, Hohenstücken auf Krücken. Weitere Fachärzte verlassen den Stadtteil / zahlreiche Senioren sind besorgt, in: Märkische Allgemeine. Zeitung für das Land Brandenburg, Brandenburger Stadtkurier, 6. April 2011, S. 13.