Als Kulturwissenschaftler

„Was ist Kultur?

Sie ist vieles. Und noch viel mehr! Was heißt das? Das heißt:

Kultur ist nicht nur Kunst und Kino, Musik und Theater.

Zur Kultur gehören Menschen und Medien, Trends und Traditionen, Kritik, Kleider und Körper.

Zu diesen wiederum gehören Akte und Rituale.

Also ist Symbolik ebenfalls Teil der Kultur? Klar, ein ganz großer!

Das, was der Mensch schafft, ist Kultur. All das, was er reproduziert, ist Kultur.

Sein Habitus – ebenfalls. Nicht zu vergessen: Moral und Miteinander.

Unsere Geschichte und ihre Gegensätze sind das Rückgrat der Kultur.

Geschriebenes und kaum Greifbares. Texte und ihre Tiefen.

Das alles ist Kultur;

zugleich ist das alles nicht alles, was Kultur ist.

Wie jetzt? Ganz einfach: Kultur ist mehr.

Die Vielfalt der Kultur fasziniert und treibt so manchen Denkgeist in die Verzweiflung.

Warum? Weil wir es wissen wollen.

Das, was die Kultur zu wissen schafft, ist die Kulturwissenschaft.“

(Dmitri Steiz)

Zur Kultur der Gegenwart gehört das Phänomen der Öffentlichkeit. Dazu schrieb Dmitri Steiz im Sommersemester 2009 an der Humboldt-Universität zu Berlin die Seminararbeit mit dem Titel „Öffentlichkeit zwischen Lebenswelt und System (?)“. Es geht dabei um Öffentlichkeit im Verständnis eines der bedeutendsten Gesellschaftsphilosophen unserer Zeit: Jürgen Habermas.

Öffentlichkeit zwischen Lebenswelt und System (?)

Einleitung

Gegenstand der vorliegenden Studie ist das komplexe Phänomen der Öffentlichkeit im Verständnis des Sozialphilosophen und Gesellschaftstheoretikers Jürgen Habermas. Hierbei geht es zunächst darum, den Strukturwandel der „bürgerlichen Öffentlichkeit“ von deren Entstehung bis zum Zerfall historisch nachzuzeichnen. Diese Öffentlichkeit wird als eine epochaltypische Größe begriffen; sie kann nicht losgelöst von der Geschichte betrachtet werden. Genauso wenig kann eine Öffentlichkeit, die als soziokulturelle Sphäre verstanden wird, nicht aus der Gesellschaft herauslöst werden. Dies führt im nächsten Schritt dazu, das gesellschafts-theoretische Konzept der Öffentlichkeit nachzuzeichnen, das Habermas anhand der Grundbegriffe Lebenswelt und System entwickelte. In diesem Kontext leuchtet die Frage auf, wie die Öffentlichkeit im Zuge des Modernisierungsprozesses der Gesellschaft, dessen Kennzeichen das Spannungsfeld zwischen soziokultureller Lebenswelt und politischen bzw. ökonomischen Systemen bildet, verortet werden kann. Eine nähere Beschäftigung mit den Schriften von und über Habermas offenbart, dass der Öffentlichkeit in diesem Spannungs-geflecht eine herausragende kulturelle, soziale und politische Bedeutung zukommt.

Der gegenwärtige Forschungsstand zum Gesellschaftsbild von Habermas äußert sich in einer quantitativ und (zumindest teilweise) qualitativ überwältigenden Anzahl von Studien. Diese versuchen das Werk des Philosophen aus verschiedenen Perspektiven und anhand zahlreicher und unterschiedlicher Fragestellungen zu erfassen, analysieren und beschreiben.1 Gleichwohl behandeln die meisten Forschungsarbeiten die Frage nach der Charakterisierung, Lokalisation und Funktion der Öffentlichkeit in der Lebenswelt-System-Gesellschaft implizit, nur wenige explizit. Zu den hervorragenden Studien, die diesbezüglich in neuester Zeit erschienen sind, gehört die kulturphilosophische Untersuchung der Öffentlichkeit von Christian Zimmermann.2 Ferner werden in der vorliegenden Arbeit die beachtenswerten Beiträge von Thomas Biebrichter, Simone Dietz, Helmut Dubiel, Helga Gripp, Sigrid Korf-Breitenstein, Harry Kunneman, Guido Palazzo u. a. herangezogen.3 Für das Thema der Öffentlichkeit, wie Habermas sie versteht, ist in jedem Fall das reiche Schrifttum des Gesellschaftsphilosophen selbst unablässig. Primäre Bedeutung verdienen hierbei seine (Haupt-)Werke Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962), Theorie des kommunikativen Handelns (1981) sowie Faktizität und Geltung (1992).4 Selbstverständlich kann im Rahmen dieser Arbeit nicht jede einzelne Wertung kommentiert werden. Es gilt die Verbindlichkeit der differenzierenden, selektiven und exemplarischen Deskription.

Anmerkungen

1 Zu Habermas erschienen in neuester Zeit: Habermas-Handbuch. Leben-Werk-Wirkung, Brunkhorst, Hauke / Kreide, Regina / Lafont, Christina (Hgg.), Stuttgart 2009; Über Habermas. Gespräche mit Zeitgenossen, Funken, Michael (Hg.), Darmstadt 2008; Müller-Doohm, Stefan, Jürgen Habermas. Leben und Wirkung, Frankfurt am Main 2008; Pinzani, Alessandro, Jürgen Habermas, München 2007; Reese-Schäfer, Walter, Jürgen Habermas, 3., vollständig überarbeitete Aufl., Frankfurt am Main (u. a.) 2001. Einführend in die Gesellschaftstheorie von Habermas ist in: Jäger, Wieland und Baltes-Schmitt, Marion, Jürgen Habermas. Einführung in die Theorie der Gesellschaft, Wiesbaden 2003. Eine umfassende Bibliographie zu Habermas ist in: Literatur zu Jürgen Habermas aus fünf Jahrzehnten, GESIS – Leibnitz-Institut für Sozialwissenschaften (Hg.), Zens, Maria (Bearb.), Bonn 2009, online: http://www.gesis.org/fileadmin/upload/dienstleistung/fachinformationen/recherche_spezial/RS6-09-Habermas.pdf [Stand: September 2009].

2 Zimmermann, Christian, Kulturphilosophie und Öffentlichkeit. Eine kulturphilosophische Untersuchung der Öffentlichkeit der Politischen Philosophie, Würzburg 2004.

3 Biebrichter, Thomas, Selbstkritik der Moderne. Foucault und Habermas im Vergleich, Frankfurt am Main (u. a.) 2005; Dietz, Simone, Lebenswelt und System. Widerstreitende Ansätze in der Gesellschaftstheorie von Jürgen Habermas, Würzburg 1993; Dubiel, Helmut, Kritische Theorie der Gesellschaft. Eine einführende Rekonstruktion von den Anfängen im Horkheimer-Kreis bis Habermas, 3. Aufl., Weinheim (u. a.) 2001 (1988); Gripp, Helga, Jürgen Habermas. Und es gibt sie doch – Zur kommunikationstheoretischen Begründung von Vernunft bei Jürgen Habermas, Paderborn (u. a.) 1984; Korf-Breitenstein, Sigrid, Menschliche Lebenswelt im technischen Fortschritt. Zur Analyse der technisierten Moderne bei Jürgen Habermas, Hamburg 1995; Kunneman, Harry, Der Wahrheitstrichter. Habermas und die Postmoderne, Frankfurt am Main (u. a.) 1991; Palazzo, Guido, Die Mitte der Demokratie. Über die Theorie deliberativer Demokratie von Jürgen Habermas, Baden-Baden 2002.

4 Habermas, Jürgen, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Neuwied 1962; Ders., Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung, Bd. 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft, Frankfurt am Main 1981; Habermas, Jürgen, Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt am Main 1992.

… Die Fortsetzung folgt in Kürze!